Walpurgisnacht
Wer „kennt“ sie nicht, die Walpurgisnacht. Die Hexen reiten heute zum Blocksberg und feiern geheimnisvolle Orgien - zunächst Aberglauben, dann Inquisitionsgrundlage (unter Hinzufügung des Teufels, versteht sich), und heute? Goethe hat sie im „Faust“ verewigt, frei nach dem „Hexenhammer“, der wiederum von der verwirrten Seele eines Mönchs geschrieben wurde. Sein Werk wurde selbst von den Kirchenobersten zunächst als eben dies abgetan, bevor es zum Grundlagenwerk für die Inquisitoren wurde. – Die Erinnerung an diese schaurige Zeit zwischen Mittelalter und Aufklärung trübt die Freude an diesem Fest und wird daher oft mitgedacht. Wenn die sogen. Hexen heute um das Feuer tanzen, tanzen die Geister dieser „Schwestern“ mit. Ohne Trauer, Zorn und Herzklopfen ist diese Nacht kaum zu feiern, denn die Erinnerungen sind tief in den Seelen der Frauen gespeichert. Manch eine fragt sich heimlich, ob sie eine von jenen war, die grausam den Tod fanden zur Zeit dieses sinnlosen Genozids. Heute ist diese Nacht auch eine politische Aktion: die Frauen erobern sich die Nacht zurück. „Zittert, zittert, die Hexen sind zurück!“ war der Schlachtruf der italienischen Frauenbewegung und prägte damit den Begriff der neuen starken und unabhängigen Frau. So feiern heute die Frauen meist unter sich und im geschützten Rahmen - Feministinnen, neue Heidinnen und ganz „normale“ Frauen versuchen sich ihre Kraft zurückzuerobern.
Doch schauen wir uns die Wurzeln dieses alten Festes an: traditionell wird es in der Nacht zum 1. Mai gefeiert und heißt im englischen Kulturkreis auch Mayday oder Mayfair. Beltane hieß es bei den Kelten und verkündete den Sommeranfang. Das Vieh wurde auf die Sommerweiden gebracht, die angenehmeren Temperaturen machten das Leben leichter. Die jungen Mädchen tanzten Bändertänze um den Maibaum, wobei sich die Bänder in komplizierten Mustern verwoben. Die jungen Burschen begaben sich auf Brautschau und manches Versprechen wurde in dieser Nacht auf den Feldern bekräftigt. In Rom wurden die Floralien begangen, ebenfalls ein recht sinnenfreudiges Fest. In noch früheren Zeiten war der Maibaum noch die Dorflinde (oder was immer dort im Dorfe stand) und erinnerte an den Lebensbaum der Göttin. Wie die Krone sich in den Himmel streckt, so breiten sich die Wurzeln in der Erde aus. „Es war, als hätt´ der Himmel die Erde still geküsst ...“ heißt es in einem Gedicht von Eichendorff und macht dieses alte Symbol lebendig, das Symbol für die heilige Hochzeit – die Verbindung aller Welten. Heute Nacht vereinigt sich die Jungfrau mit dem Heros, wird zur roten Göttin der Lebenskraft. Die „Freinacht“ wird sie auch genannt, Nacht der freien Liebe, Zeit für unbeschwerte Lust, Erotik und Sinnenfreude bis zur Extase. Die spirituelle Erfahrung durch sexuelle Vereinigung ist hier gemeint, ein grenzüberschreitendes Erleben. Dem Fest gegenüber auf dem Jahresrad liegt Samhain und die gleichen starken Kräfte sind heute Nacht am Werk: Begegnungen mit den Wesen der Anderswelt sind möglich. Allen voran sind es die Verwandlungskräfte, die hier wirken, wie wir sie aus der schamanistischen Tradition kennen, Begegnungen mit Tiergeistern und Seelenflug (aus dem im Aberglauben möglicherweise der Hexenflug wurde). Die rote Kraft der Göttin verströmt sich ungehemmt und ungeniert – ja unschuldig im ursprünglichen Sinne. Die Natur macht es uns vor: sie präsentiert sich uns in einem duftenden Blütenmeer, das Insekten anlockt – Flieder, Rhododendron, Weißdorn, Kastanien, Kirschen und Apfelbäume blühen u.v.m. Die meisten Laubbäume tragen bereits ihr grünes Gewand und die Hummeln und Bienen summen eifrig über üppige Wiesen. Waldmeister, Erdbeeren, Rhabarber und Spargel erfreuen unsere Gaumen. Die pure Lebenskraft wird heute Nacht gefeiert – ohne wenn und aber – so wie sich die Natur unendlich verschenkt. Eine immense Kraft ist das, Feuer ihr Element, unbezähmbar, wild und bisweilen grausam, erbarmungslos drängt sie ans Licht.
So sind die Menschen in dieser Zeit auch von Unruhe getrieben und wissen nicht wohin mit diesen aufsteigenden Kräften. Die Rituale fehlen, die die Energien in Kanäle lenken. In den alten Zeiten, wo all dies noch stattfand, stand die Verbindung von Stämmen und Land im Zentrum der Rituale, die Menschen wiederholten in symbolischen Handlungen die Vorgänge der Natur. Doch heute ist das Verhältnis zwischen den Geschlechtern kaum mehr harmonisch, nach der langen und blutigen Geschichte zwischen ihnen. Also feiern heute wohl eher Frauenkreise die Walpurgisnacht im alten Sinne, und auch hier nur die mutigen, denn die alten Wunden sind noch lange nicht verheilt und eine Freinacht mit den Männern zusammen Zukunftsmusik. Fangt also da an, wo Ihr seid und das mit Vorsicht und Bedacht. Jede sollte nur so weit gehen wie sie mag und kann und die Lebensfreude und Erotik auf ihre Art ausdrücken. Respektiert Eure Grenzen in dieser grenzenlosen Nacht, denn die Schleier zwischen den Welten sind offen. Alles ist möglich. Wünsche gehen Erfüllung.
Und so schließt sich der Kreis zu den wilden Geschichten vom Anfang: tanzt ums Feuer, Frauen, und schaut zu fortgeschrittener Stunde mal genauer hin: sind da nicht viel mehr Gestalten versammelt, als Ihr dachtet? Tanzen dort oben auf dem Hügel nicht die Elfen unter dem Vollmond (im Stier)? Spielt die Phantasie uns einen Streich nach zu viel Waldmeisterbowle oder ist das einfach nur die Energie der Walpurgisnacht ...? Chandra https://frauenpfade.de