Wintersonnenwende
Die Wintersonnenwende ist im Jahresrad mit seinen acht heilig-heilenden Speichen auf Terras Nordhalbkugel das Fest der tiefsten Nacht.
Dieses Fest markiert die längste Nacht in der dunkelsten Zeit des Jahres. Dunkelheit durchzieht die Tage, selbst mittags wird es nicht richtig hell. Es ist der Augenblick der größten Leere im Jahr: Die Erde, die auch als Drachin gesehen wird, hat vollständig ausgeatmet, die Energie ist erdig, schwer und langsam. Sie bietet uns Beständigkeit an - winterlich, reduziert. Wir können Sicherheit erspüren, uns tragen lassen von dieser Kraft, dieser Art der Stärke.
Wintersonnenwende bedeutet auch tiefste Innenschau. In dieser Zeit sind wir eingeladen, in Ruhe zu tauchen und Orte innerer Geheimnisse zu besuchen. Die Weise Alte in uns will sprechen. Sie steht auf der Schwelle zu einem Neuanfang. In dieser Zeit ist sie Hüterin des Saatkorns und wird auch die Funkelnde genannt. Zu Halloween war sie die Schamanin, die die Wege durch Wandlung kennt, zu Lichtmess wird sie die Seherin sein, die ein Bild, eine Vision dessen vor Augen hat, was ist oder im Entstehen ist. Dazwischen, in dieser dunkelsten Zeit, gehört in-Ruhe-Lassen dazu, was für aktive und leistungsorientierte Frauen vielleicht die schwierigste Übung ist. Das Datum des Festes wird nach der Sternenkunde dadurch bestimmt, dass Sonne in das Tierkreiszeichen Steinziege eintritt, was zwischen dem 21. und 23. Dezember geschieht. Das Fest wird traditionell angekündigt von den Klopfnächten, ist eingebettet in mehrere Feiertage und läutet die Rauhnächte ein.
In den Klopfnächten werden Freundinnen besucht, Kontakte gepflegt. Der längsten Nacht des Jahres selbst geht die Rauchnacht voraus, in der die inneren und äußeren Räume ausgeräuchert und gereinigt werden. Ihr folgen der Luzia-Tag und die Mütternacht.
Am Luzia-Tag wird das Licht, dein Winterkind geboren. Diese Wiedergeburt findet sich auch symbolisch in immergrünen Pflanzen, die ihre Lebensfarbe trotz winterlicher Kargheit erhalten haben. Wir holen einen Zweig von Nadelbäumen oder Ilex ins Haus. Die weise Alte begegnet der Jungen, Neugeborenen und wandelt sich. Um mit dem sommerlichen Feuer des Lebens verbunden zu bleiben, sind rote Beeren oder Kerzen dabei.
In der Mütternacht erinnern wir uns der Kraft der Ahninnen und ehren sie oder das, was wir an ihnen schätzen, indem wir ihnen zum Beispiel eine kleine, bekömmliche Speise bereit stellen.
Der Beginn der Rauhnächte und ihre Anzahl ist je nach Tradition unterschiedlich. Übereinstimmend dauern sie jedoch nicht länger als bis zum 6. Januar, dem Perchtentag. Nana, Großmutter der Zeit, rührt ständig den Brei, aus dem sie die Welt gestaltet, doch nur in dieser Zeit, in der Spanne der Rauhnächte, dürfen wir ihren Tanz tanzen und dabei auch den Löffel rührend in die Hand nehmen, aus dem Brei schöpfen, das Gestaltete in die Welt entlassen. Im Tanz gehen wir weiter im Kreis, be-achten und ehren das Achsenkreuz der Himmelsrichtungen und danken als eigenmächtige Frauen der Lebenskraft. Jetzt ist der Augenblick gekommen, alle Energie wieder zurück in den Kessel, in die Ursuppe fließen zu lassen. Was wir nicht oder nicht mehr brauchen, wird weitergegeben, wird zurückgegeben in den Kessel, wird liebevoll verschenkt. Und wir machen eine lange Pause bevor im Tanz das Rühren von Neuem beginnt.
Das Pendel der Zeit unterbricht in den Rauhnächten seine gleichförmige Tätigkeit und steht für eine Weile still. Auch am Himmel ist Stillstand. Das Zunehmen des Lichts ist noch nicht zu bemerken.
In den erleuchteten Einkaufstrassen und mit vollen Terminkalendern ist es jedoch schwer, diesen Energien und den mit ihnen verbundenen Lebensthemen zu begegnen. Es ist gut, sich in der Dunkelheit getragen zu fühlen und dafür ist es wichtig, die Dunkelheit ebenso wie das Getragensein zu erleben. Ein Netz von liebevollen Verbindungen ist ausgezeichnet dazu geeignet und kann in den Klopfnächten besonders gestärkt werden. Grußkarten gewinnen damit eine völlig neue Bedeutung, denn anders als viele unserer Ahninnen sind wir räumlich getrennt von vielen, die uns nahe stehen.
Und so lassen wir uns tragen, von Bräuchen und von Freundinnen und von der Gewissheit, dass in der Mitte der Nacht ein neuer Tag beginnt.
© Martha, zu Lichtmess 2003
Literaturtipps
Ziriah Voigt, "Ritual und Tanz im Jahreskreis", 1997
Deluciana, "Von der scheinenden Frau und der wilden Percht, von Barbarazweigen und Orakelnächten - Mythos, Symbolik und Magie der Weihnachtszeit, einiges zu ihrer Kulturgeschichte, sowie alte und neue Rituale" 3. Auflage 1997