Das Fest des Sonnenuntergangs, des Mondinaufgangs
Die Zeit der Ausgewogenheit - Sonne geht in das Tierkreiszeichen Waage. In dieser Kalenda geht unsere zeit-spiralige[1] Aufmerksamkeit zum Fest der Tag- und Nachtgleiche im Herbst.
Da sind zwei Schwestern - Sunna, voller Sonnenkraft und Luna, sehr nah der Mondin. Jede wirkt in einer Hälfte des Jahres. Beide zusammen bewirken das Ganze, den Zyklus des Lebens, seinen Rhythmus. Auch wenn die Macht jetzt wechselt sind immer beide anwesend, selbst wenn wir meinen, nur die eine zu erkennen.
Ihre Machtübergabe findet in dieser Zeit statt von der hellen an die dunkle Schwester. Die Nächte werden langsam länger als die Tage. Die helle Hälfte des Jahres geht zu Ende und die dunkle beginnt. Hier an der abendlichen Grenze zwischen Tag und Nacht begegnen sie sich in der Dämmerung und tanzen ihren Spiegel-Tanz der Ausgewogenheit
In der Zeit der Übergabe sind für einen Augenblick - der auch etwas länger dauern kann beide Schwestern gleich (ge)wichtig. Die Kräfte sind vollkommen ausgewogen und eine kann sich in den Haaren raufen, wenn sie eine Entscheidung fällen möchte. Es ist schwer. Die eine sieht so gut oder so schlecht aus wie die andere Möglichkeit.
Dieses besondere Kräfteverhältnis bietet uns statt der Entscheidungskraft Unterstützung bei neuer Betrachtung und Bewertung. Dabei können wir die Perspektive auf unser Leben wechseln, dasselbe Thema aus einer anderen Sicht zu betrachten. So z. B. auf Schmerz und Trauer, die diese Wochen des Abschieds vom Sommer manchmal begleiten. Abgeschnitten vom Zusammenhang des Jahreskreises wird das herbstliche Sterben nicht mehr als notwendiger (und für Klarheit hilfreicher) Prozess im Gesamtgefüge verstanden, sondern als brutaler Tod, gegen den man sich wehren möchte und dem man doch machtlos zusehen muss.[2]
Im Herbstritual ist gleichermaßen Raum für Erntedank. Die Früchte des Jahres sind sichtbar. Mit Hilfe einer Meditation zum inneren Ort des Reichtums[3] kann jede Frau in dieser Zeit Rückschau auf ihr Jahr, auf die Ernte, die sie einbringen durfte und auf den Überfluss, für den sie danken will[4] halten. Etwas von dieser Fülle zu schenken und zu feiern, kann überaus bereichernd sein und trägt dazu bei, für Ausgewogenheit zu sorgen.
Das Zusammenspiel der Schwestern wird in vielen paarigen Frauendarstellungen in Archäologie und Mythologie deutlich sichtbar. Übertragen wir dies auf den antiken Mythos von Demeter und Persephone, so lässt sich hinter der bekannten Fassung eine ältere Schicht vermuten, in der Persephone nicht die der Mutter geraubte Tochter war, sondern eine ihr ebenbürtige Göttin, die das Wissen und die Gesetzmäßigkeiten der winterlichen Hälfte des Naturzyklus repräsentierte.[5]
Ein astrologisches Beispiel hierzu ist die Venus, als Schwesterplanet der Erde bekannt, denn sie ist unser(e) nächste Nachbar(in) und ähnelt der Erde in Größe und Aufbau. Die Venus dreht sich jedoch um ihre Achse in der umgekehrten Richtung, so dass man sagen könnte, dass sie das Spiegelbild der Erde ist.
Die Erscheinung der Venus am Himmel ist unübersehbar. Sie ist entweder der Morgenstern der Morgendämmerung oder der Abendstern der Abenddämmerung und wurde in vielen Kulturen mit der Liebe in Verbindung gebracht.[6]
Doch wie können wir uns die beiden königlichen Schwestern des Jahres vorstellen? Da war zum Beispiel das Märchen der Frau Holle, in dem es zwei Schwestern gab. Eine neue Version ihrer Geschichte als Tagmarie und Nachtmarie könnt ihr in der Zeitspirale 2002 lesen.
[1] Zeit-spiralig sein, heißt in diesem Zusammenhang, unser gesammeltes Wissen aus Büchern, Erfahrungen, Schlussfolgerungen und Ahnungen möglichst differenziert darzustellen und zu bündeln. Wir füllen unseren Raum dadurch, dass jede einzelne liebevoll ihren (t)Raum füllt, gestaltet, bestimmt. Gemeinsam ergibt sich daraus ein sich stetig wandelnder Fluss aus Unterschiedlichen.
[2]Ziriah Voigt, S. 229
[3]Z. V. S. 237
[4]Z. V. S. 235
[5]Ziriah Voigt, Ritual und Tanz im Jahreskreis S.231
[6]Lindsay River, Selly Gillesgie, Zeitknoten, S. 93