Zur Frauenklage

Als wir von den Massenvergewaltigungen im Krieg in Ex-Jugoslawien lasen und unser Entsetzen so groß war wie unser Ohnmachtsgefühl, als in Mölln und Solingen die Häuser brannten und Frauen und Kinder wieder einmal die Opfer der Gewalt waren - da suchten wir immer stärker nach einer Form, unserer Betroffenheit, Angst und Zorn Ausdruck zu geben.

Wir fragten uns: Wo gibt es Platz in unserer "Kultur" für unsere KLAGE? Denn das fühlten wir deutlich, dass vor den Handlungen erst einmal Raum sein musste für Weinen und Klagen. Zunächst hatten wir Verbindungsfäden zu anderen Zeiten und Kulturen, wir dachten an den Chor im griechischen Drama, auch an die Rachegöttinnen, wir dachten an Klageweiber des Orients, an die Klagemauer, suchten Klagetexte in der Literatur. Aber wir fanden uns in keiner dieser Traditionen ganz wieder. So entwickelte eine Gruppe von Künstlerinnen aus ursprünglichen Elementen der Bewegung, des Klangs, der Farbe und der Sprache ein "offenes Ritual" für die FRAUENKLAGE, in dem wir uns zugleich frei und gehalten fühlen konnten, die Tür zu unserer Trauer zu öffnen.

Wir setzten es für die erste FRAUENKLAGE 1994 durch, dass wir als Auftakt zu einer Frauenveranstaltungsreihe einen öffentlichen Raum nutzen konnten, nämlich die Halle des Städtischen Museums in Schleswig, die architektonisch ein "offener" und zugleich geistvoller Raum ist. Und wir waren überwältigt von der großen Zahl teilnehmender Frauen. Nie zuvor haben wird so viel Schmerz und Trauer mit so vielen gemeinsam durchlebt, auf diese Art Unrecht und Gewalt beklagt. Zugleich war eine zunehmende Kraft zu spüren, die auch dadurch wachsen konnte, dass die größtmögliche Verschiedenheit gleich-gültig nebeneinander bestehen konnte. Für drei Stunden lebten wir außerhalb der Koordination des Patriarchats. Wohl alle, die dabei waren, verließen die Halle mit dem Gefühl: Es wird weitergehen...

Und es geht weiter! 1995 fanden sich andere Frauen, die die Initiative ergriffen, zur 2. öffentlichen FRAUENKLAGE einzuladen - und wir sind sicher, dass es in diesem Herbst wieder Frauen geben wird, die Ort und Zeit für die 3. FRAUENKLAGE benennen.

Alles hat seine Zeit. Wir denken, dass es von den jahreszeitlichen Themen und Energien her am Besten ist, zur Klage um Halloween herum einzuladen, in der Zeit des Abstiegs, wenn die Tore zum Reich der Hekate offen stehen.

Um Räume zu finden, müssen wir immer wieder listig oder erfindungsreich sein. Andererseits gestaltet sich die Suche nach dem Raum auch zu einem Lernprozess zum Thema: Wo haben Frauen ihren Raum in unserer Gesellschaft? Wo ist unser Land? Wir brauchen Zeit und Raum, um unsere Kultur zu entwickeln und zu gestalten: "... wir spinnen unsere Fäden fort / das Netz wird immer dichter ..." sangen wir zum Abschluss der 2. FRAUENKLAGE.

Die Kraft dieser Verbundenheit kann uns über die Klage hinaus zum Handeln befähigen.